Lebendige Fassade

Fast zwei Jahre hat es gedauert – von der Idee bis zum ersten Pinselstrich. Nun ist es soweit: Es gibt zwei neue Graffiti-Kunstwerke zu bestaunen. Das Münchner Künstlerkollektiv „Der Blaue Vogel“ begann Anfang Mai mit der Arbeit an der Westfassade des Gebäudes Karl-Marx-Ring 75–83 in Neuperlach. Die Ostfassade gestaltete der renommierte italienische Künstler Peeta. In luftigen 20 Metern Höhe arbeiteten die Künstler an den großflächigen Motiven. Die Künstler Robert Posselt und Daniel Lange erzählen im Interview mehr.

Robert Posselt

„Wir sind ein Kollektiv aus fünf Urban-Art-Künstlern und schon seit vielen Jahren gemeinsam tätig. Ich wohne mit meiner Familie schon länger in Neuperlach. Ich laufe also schon lange mit dieser Urban-Art-Brille durch das Viertel.“

Portraitbild Robert Posselt
Robert Posselt, Künstlername „Kult“ vom Künstlerkollektiv „Der Blaue Vogel“

Daniel Lange

„Ich bin Daniel Lange aus Ingolstadt und künstlerischer Leiter beim Projekt Landmarks Ingolstadt. Das mache ich zusammen mit Rafael Gerlach, Künstlername: SatOne. Rafael kommt aus dem Münchner Südosten und wir hatten schon länger das Ziel, in München ein Projekt zu machen.“

Portraitbild Daniel Lange
Daniel Lange, künstlerischer Leiter beim Projekt Landmarks Ingolstadt

Wie kam es zu einer Arbeitsgruppe, die in Neuperlach tätig ist? 

Robert: Da spielt das Stadtteilmanagement der MGS eine große Rolle. Rafael und ich sind zeitgleich an das Stadtteilmanagement herangetreten und haben um Unterstützung gebeten: Wir wollten unser Können in die Weiterentwicklung des Stadtteils einbringen, konkret positive Orte schaffen, indem wir Kunst an Hausfassaden organisieren. 

Wie seid ihr organisiert?

Robert: Wir haben unter dem Trägerverein des Kulturhauses Neuperlach, dem KulturBunt Neuperlach e.V., ein institutionelles Dach gefunden. Im Verein sind wir eine Arbeitsgruppe: Rafael, Daniel und ich. Wir kümmern uns um alle Aspekte der Projektorganisation. Dies beinhaltet, einen Hauseigentümer für das Projekt zu gewinnen, künstlerisch zu entscheiden, wer die Wand gestalten soll, das konkrete Konzept für die Wand zu erarbeiten, die Finanzierung zu organisieren und dann die Details der Umsetzung abzuarbeiten: Mieter*innen informieren, Hebebühne leihen, Farben kaufen, und, und, und … 

Am Karl-Marx-Ring 75–83 sind zwei Motive entstanden. Wie habt Ihr das Gestaltungskonzept erarbeitet?

Robert: Die GWG München hat uns recht freie Hand beim Gesamtkonzept gelassen. Wir hatten vereinbart, dass es ein Konzept sein muss, dass gestalterisch und inhaltlich Sinn ergibt und hochwertige Ergebnisse bringt. Es war uns wichtig, dass beim ersten Projekt ein lokaler Künstler dabei ist und es einen deutlichen Bezug zu Neuperlach gibt. Also wurde entschieden: Die sehr gut sichtbare Westfassade zur Straße kuratiert das Kollektiv „Der Blaue Vogel“, für die Ostfassade konnten wir den italienischen Künstler Peeta gewinnen. 

Robert, wie entstand das Motiv des Flötenspielers?

Robert: Das Motiv ist eine Hommage an Wolfgang Niesner. Er war ein Künstler, der lange und bis zu seinem Tod in Neuperlach gelebt und sich intensiv mit dem Ort auseinandergesetzt hat, mit den Schattenseiten, aber auch mit der Ästhetik, der Art und Weise, ein Viertel aufzubauen. Er zog hierher, als dieser Stadtteil gebaut wurde, und hat sich daran in sehr sehenswerten Zeichnungen, Scherenschnitten und Druckgrafiken künstlerisch abgearbeitet. 1994 ist er gestorben. Frau Niesner wohnt weiterhin hier und verwaltet sehr engagiert seine Arbeiten. Wolfgang Niesner haben wir diese Wand gewidmet. Den Scherenschnitt „Der Flötenspieler“ wählten wir aus seinen Arbeiten aus. Es ist eine etwas lustige, sehr einfache Figur, leicht zu verstehen und von Weitem gut zu erkennen. Unsere drei Buchstaben „ADK“ haben in jedem unserer Motive eine andere Bedeutung. Hier stehen sie für „Akustik durch Kunst“, das Hörbarmachen von Farbe und Gestaltung im öffentlichen Raum. Gern kann noch mehr Akustik – also eine Symphonie der Hochhäuser – entstehen. Das ist die Idee. Gemalt haben das Bild die Künstler Pyser, Zwist und ich.

Graffiti "Der Flötenspieler" in Neuperlach.
Von der Hebebühne aus arbeiteten die Künstler an den Graffitimotiven. (© Florian Mayr, MGS)

Wie war der Prozess beim Motiv von Peeta?

Daniel: Bei dieser Wand war das Spannende, dass sie diesen prägnanten Versatz, also eigentlich so ein Eck hat. Da dachten wir schnell an den italienischen Künstler Peeta, der wahnsinnig toll mit Raumwirkungen und optischen Täuschungen spielt. Seine Bilder wirken aus einem bestimmten Blickwinkel dreidimensional, was das ursprüngliche Haus total verändert. Das Ergebnis ist fabelhaft geworden.

Graffitimotiv des Künstlers Peeta.
Die optische Täuschung an der Ostfassade verändert die Wahrnehmung der Architektur. (© Jonas Nefzger)

Wie habt Ihr das Projekt finanziert?

Robert: Die Finanzierung fußt auf drei Säulen: Eine Säule ist die städtische Wohnungsbaugesellschaft GWG München. Die anderen beiden Finanzierungspartner sind die Stiftung Straßenkunst der Sparkasse München und das Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Hier haben wir in Kooperation mit Kulturbunt Neuperlach e.V. Förderanträge gestellt.

Wie sieht Eure Vision für Neuperlach aus?

Daniel: Wir haben eine gute Struktur und jetzt das erste Projekt geschafft. Unser Ziel ist langfristig: Wir wollen quasi eine öffentliche Galerie bauen. Neuperlach schreit nach Farbe und es gibt eine ganze Menge toller Wände. Die Menschen sind, wenn sich in ihrer Umgebung etwas verändert, anfangs skeptisch. Aber irgendwann lässt man zu, dass die Veränderung zu einem Teil von einem selbst wird, und identifiziert sich damit. Das ist es, was Kunst will: Die Kunst will etwas mit dir machen, und zwar etwas Positives. Kurz gesagt: Wir wollen langfristig eine Freiluftgalerie an Neuperlacher Hauswänden gestalten, die den Menschen hier Freude macht. Robert: Auch bei der Orientierung in Neuperlach würde das helfen. Wegen der ringförmigen Straßen und teils labyrinthartigen Wege fehlen klare Orientierungspunkte. Das vereinfacht sich natürlich, wenn du sagen kannst: Wir treffen uns beim Flötenspieler. 

Wie geht es nun weiter?

Robert: Wir werden auf weitere Immobilieneigentümer*innen zugehen. Wir haben wertvolle Erfahrungen gesammelt und sind gut aufgestellt. Für Immobilieneigentümer*innen ist jetzt deutlich, dass wir die Bemalungen professionell organisieren. Auch die Kommunikation wollen wir noch mehr ausbauen, damit man mit uns besser in Kontakt treten kann: Anwohner*innen, Künstler*innen genauso wie Eigentümer*- innen und Interessierte allgemein. Es ist auch noch geplant, bei den Gemälden Tafeln mit Infos zu den Künstler*innen, dem Titel und den Förderern anzubringen.

Info zum Projekt

Projektbeteiligte

Organisiert wurde das Projekt vom MGS Stadtteilmanagement in Kooperation mit Kulturbunt Neuperlach e.V. Die GWG München, das Kulturreferat München sowie die Stiftung Straßenkunst der Sparkasse München finanzierten die Fassadengestaltung. 

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